Interviews

„Was kann wieder sichtbar gemacht werden?“

Das Kollektiv Neonpink erforscht die Geschichte der Wäscherinnen am St. Pöltner Mühlbach als Audiowalk. Ein Interview über Kindheitserinnerungen, Hydrofeminismus und die Frage, was von der Tangente bleibt.

Interview: Clemens Stachel
Fotos: Tangente, esel.at, Markus Weidmann-Krieger

Mit ihrem Audiowalk über die Schwemmstellen im St. Pöltner Mühlbach haben die sechs Künstlerinnen vom Kollektiv Neonpink eine der markantesten Arbeiten des Kunstparcours „The Way of the Water“ bei der Tangente St. Pölten geschaffen. Das Kollektiv nennt ihre Arbeit „Mühlbacherinnen“ – ein Bezug auf die vielen Frauen und Mädchen, die bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts als Hausfrauen oder als Wäscherinnen am Mühlbach gearbeitet haben.

Eure Arbeit „Mühlbacherinnen“ thematisiert die Schwemmstellen am St. Pöltner Mühlbach. Wie seid ihr als Künstlerinnen-Kollektiv auf dieses Thema gekommen?
Konstanze Müller (Kollektiv Neonpink): Wir haben uns als Kollektiv relativ spontan zusammengefunden, um an einem Call teilzunehmen, der über den Kunstverein LAMES ausgeschickt wurde. Auf der Suche nach einem Projekt war es bald klar, dass wir zu frauengeschichtlichen Perspektiven auf die Stadt arbeiten wollen. Einige von uns sind in der Nähe des Mühlbachs und von früheren Schwemmstellen aufgewachsen. So entstand die künstlerische Arbeit rund um diese Schwemmstellen und ihre besondere Geschichte. Und das Ergebnis war schließlich, nach einem zu Beginn sehr freien Prozess, der Audiowalk „Mühlbacherinnen“.

Was sind eigentlich Schwemmstellen, und wer waren die „Mühlbacherinnen“?
Die Schwemmstellen heißen so, weil hier früher die Wäsche ausgeschwemmt wurde. Gewaschen wurde die Wäsche meist in Waschküchen oder in den Privathäusern. Dann wurde die Wäsche zu den Schwemmstellen getragen oder im Leiterwagen geführt. Die Wäsche wurde dann im Mühlbach ausgeschwemmt und anschließend wieder nach Hause gebracht zum Aufhängen. Die Frauen, die hauptsächlich diese Arbeit verrichteten und die wir fiktional „Mühlbacherinnen“ nennen, waren sowohl Hausfrauen, die dort die Wäsche der eigenen Familien geschwemmt haben, als auch angestellte Wäscherinnen von privilegierten Familien. Mit den ersten Waschmaschinen – übrigens gab es da auch Selbstbaumodelle – und Schleudern und auch gewerbsmäßigen Waschküchen, wie das Hotel Pittner eine betrieb, wurden die Schwemmstellen dann immer weniger genutzt.

Eine morsche Holztreppe führt zu einem Bach hinab
Eine der Schwemmstellen am Mühlbach, die im Audiowalk des Kollektivs Neonpink angesteuert werden. (Foto: Markus Weidmann-Krieger)

Das heißt, es war früher weit verbreitet, dass Frauen zum Mühlbach gegangen sind zum Ausschwemmen der Wäsche? Dann muss es ja sehr viele solcher Schwemmstellen gegeben haben?
Ganz genau, es hat früher sehr viele dieser Stellen gegeben, viele Häuser hatten sie. Die meisten sind heute nicht mehr sichtbar. Wir haben aber noch einige entdeckt, um sie in unseren Audiowalk aufzunehmen. Den Großteil unserer biografischen Inhalte erfuhren wir durch Gespräche oder auch durch zufällige Begegnungen am Mühlbach. Wir haben so zum Beispiel herausgefunden, dass es nach wie vor Anrainer*innen gibt, die sich für die Schwemmstellen verantwortlich fühlen und sie zugänglich halten. Einiges an Wissen rund um die Arbeit  „Mühlbacherinnen“ ist aber auch noch in unseren Familien präsent. Konkret kann sich die Elterngeneration der Jahrgänge in unserem Kollektiv, die früher geboren wurden als ich, daran erinnern, wie sie als Kinder mit ihren Müttern zu den Stellen mitgegangen sind.

Orte der Arbeit und der Freizeit

Das müssen also Erinnerungen etwa an die 1950er Jahren sein?
Richtig. Aber natürlich hat das Schwemmen am Mühlbach auf den „Schwappbrickln“ eine viel ältere Geschichte. Und dann gibt es noch unsere eigenen Kindheitserinnerungen: Auch hier spielen bei manchen von uns die Schwemmstellen eine Rolle. Aber nicht mehr als Arbeitsstätten, sondern als Orte, wo wir zum Schwimmen, später auch zum Treffen oder zum Spielen hingegangen sind. 

Was hat euch an den Schwemmstellen und den Mühlbacherinnen fasziniert?
Zum einen interessieren uns die Schwemmstellen als Orte unsichtbarer Arbeit, denn eine solche war das Wäschewaschen – und sie ist es ja noch immer. Zum anderen arbeiten wir das Soziale dieser Plätze heraus. Dort wurde nicht nur gearbeitet, es hat sich im Lauf eines Tages auch sonst sehr viel abgespielt. Über diese Anbindung an das Früher wollen wir herausfinden: Welche Herausforderungen rund um Care- und Reproduktionsarbeit gibt es heute noch genauso wie damals? Um dann auch in einen reflektierenden Prozess zu kommen: Wie werden wir es in Zukunft leben? 

Von Blättern bedeckte Betonstufen führen hinunter zu einem Bach
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gab es am Mühlbach unzählige solcher Schwemmstellen: Ein paar wenige sind heute noch erkennbar. (Foto: Markus Weidmann-Krieger)

Die Kuratorin Joanna Warsza hat den Kunstparcours „The Way of the Water“ unter das Zeichen des Hydrofeminismus gesetzt. Was bedeutet Hydrofeminismus für euch?
Ich spreche hier nur in einem kleinen Auszug über meine eigene Erfahrung. Wir Menschen bestehen zu 70 Prozent aus Wasser. Auch das Leben auf der Erde hat seinen Ursprung im Wasser. Es geht um die Erkundung von Existenz und Essenz. Wasser finden wir Menschen häufiger im Kosmos, als uns bewusst ist. Begebe ich mich in die Astrophysik, finden wir es in der Entstehung von Planeten wieder, zum Beispiel des Mars, dessen Oberfläche von Wasser geformt ist. Es geht auch um die Fluidität des Wassers. Um das Erleben, dass auch wir es in uns tragen und davon leben. Der Hydrofeminismus bringt uns auf ganz persönlicher Ebene dann jedoch auch wieder zu den politischen Themen zurück, die uns in Wirklichkeit ohnehin immer beschäftigen: also die Sorge um das Wohlsein unserer planetaren Umgebung, wie auch die Verantwortung, das Empfinden, das Handeln für unsere Nachfahr*innen. Gerade Frauen, Mädchen und weiblich gelesene Personen werden vom Klimawandel hart getroffen. Wir stellen mit unserem Projekt auch die Frage: Vielleicht können wir ja von unseren Ahn*innen etwas über Ressourcenschonung lernen?

Anstoß für weitere Arbeiten

Eure Arbeit ist also historisch, aber nicht nur?
Wir wollten geschichtlich arbeiten in dem Sinne, dass wir Schichten abbauen wollten, um zu schauen: Was liegt darunter? Was war verschüttet und kann wieder sichtbar gemacht werden? Aber uns war dabei immer auch wichtig, dass diese Arbeit nicht dort, also bei der historischen Erkenntnis, stehenbleibt. Es sollte auch darum gehen, wie wir heute und in Zukunft die Geschichte weiter formen. Hier gibt es eine weitere Anknüpfung an das Wasser: So wie ein Fluss fließt auch die Zeit nicht linear dahin. Wir können nicht in die Vergangenheit eingreifen, jedoch aus ihr heraus anders handeln. 

Gibt es überhaupt historische Forschung über die Schwemmstellen, auf die ihr zurückgreifen konntet?
Leider so gut wie gar nicht. Wir wurden zwar wunderbar unterstützt vom St. Pöltner Stadtmuseum und vom Büro für Diversität der Stadt St. Pölten, die sich immer wieder mit Frauengeschichte auseinandersetzen. Und es gibt auch hie und da ein paar kurze Absätze in Geschichtsbüchern, die wir in Archiven und Bibliotheken gefunden haben. Vergleichsliteratur und Arbeiten zum Thema „Waschen“ fanden wir auch zum Beispiel im Frauenmuseum Hittisau. Aber eine grundlegende oder ausführliche sozialgeschichtliche Erforschung der Schwemmstellen dezidiert für St. Pölten steht noch aus. Es wäre natürlich toll, wenn wir hier den Anstoß für eine Folgearbeit geben könnten. Ich merke aber an, dass das vielleicht eine etwas naive Hoffnung ist.
Dass wir überhaupt aus all der Historie über Klimathemen, Genderthemen, Ungerechtigkeiten Diskurse führen müssen, mutet mir manchmal grotesk an. Es erweckt den Anschein, dass sie auf politischer Ebene immer wieder vertagt werden. 

Sechs Frauen sitzen am betonierten Ufer eines kleinen Flusses und lachen einander an
Das Kollektiv Neonpink besteht aus sechs Künstlerinnen und hat sich in dieser Konstellation eigens für das Projekt „Mühlbacherinnen“ zusammengefunden. Die Fragen von KREDO hat Konstanze Müller (ganz links) beantwortet. (Foto: Markus Weidmann-Krieger)

Ihr seid Teil eines Kunstparcours, an dem ja auch viele andere Künstler*innen teilnehmen. Welche Arbeiten von Kolleg*innen sind dir persönlich besonders aufgefallen?
Jede von uns hat bereits ihre Lieblingsstellen bei „The Way of the Water“, und womöglich wird sich das auch noch ändern. Mir persönlich fallen ad hoc die klingende Installation von Roberta Lazo Valenzuela und das Projekt von Rainer Prohaska ein, der ganz in der Nähe einer „unserer“ Schwemmstellen einen Swimming Pool im Mühlbach imaginiert hat. Falls ich mich korrekt erinnere, sind beide Stationen an unseren Anfängen, die gleichsam auch die Enden sind, angesiedelt. Dabei merke ich, dass sich wieder viele Querverbindungen in unserer Arbeit mit anderen Künstler*innen finden. Ich beobachte, dass hier von den Kuratorinnen eine Gendersensibilität gelebt wird. Jahrelang begleitet mich jedoch bereits das Wirken von Ursula K. Le Guin. Ihre Bücher füllen meine Regale seit Teenagerjahren. Meine Empfehlung: sehr offen durch den Kunstparcours flanieren und sich berühren lassen. 

Was nach der Tangente kommt

Du bist St. Pöltnerin, genauso wie einige andere im Kollektiv Neonpink, und ihr kennt die hiesige Kunst- und Kulturszene sicherlich sehr gut. Wie fühlt es sich für dich an, wenn in deiner Heimatstadt plötzlich ein so großes Kunstfestival organisiert wird?
Ich finde es großartig, wie viele internationale Künstler*innen eingeladen wurden. Es gibt tolle Positionen, ich kann viel erleben und mich mit Kolleg*innen austauschen. Mir persönlich ist es jedoch beinahe zu viel, ich selbst reduziere dann in der großen Programmvielfalt gezielt und filtere einige Veranstaltungen heraus, die mich spüren lassen, dass sie gerade jetzt für mich wichtig erscheinen. Die große Frage, die ich mir aus Perspektive einer ansässigen Künstlerin natürlich stelle, ist: Wie geht es danach weiter? Was bleibt von der Tangente? Es gibt schon zumindest den Hoffnungsschimmer, dass wir St. Pöltner Künstler*innen etwas vom Drive des Großereignisses mitnehmen können, vor allem für die kommenden Jahre. Aber wichtiger erscheint mir das „Zwischen“, dieses stetige Arbeiten, nicht nur ein „Großereignis“, auf das wir hinarbeiten.

Wie sieht es da mit eurer Arbeit konkret aus? Wird die auch nach Ende der Tangente erhalten bleiben?
Ja, es ist uns wichtig, dass unsere Arbeit bestehen bleibt. Vorerst ist dies sicherlich ein großer Wunsch, um den wir den Magistrat der Stadt St. Pölten bitten. Derzeit arbeiten wir noch an den konkreten Rahmenbedingungen. Für uns ergibt es Sinn, und wir erleben auch den Mehrwert, da wir konkret aus und in der Lebenswelt der Stadt St. Pölten exploriert haben, wir Mitgestalter*innen der Stadt sind, einige von uns auch hier leben. Wir haben die digitalen Daten unseres Audiowalks bewusst auf einem Server des Vereins Solektiv liegen, damit er auch in Zukunft noch abrufbar ist. Solektiv ist ein Kunst-, Kultur- und Naturverein, der sich aus der Verbindung der Vereine LAMES, den es bereits seit 25 Jahren gibt, und Sonnenpark geformt hat. Wir können also davon ausgehen, dass Solektiv noch länger bestehen wird.

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