Kritiken

„Unsere Gefühle für Alfa Romeo sind größer als Worte“

E-Mobilität ist zum Heulen. Auspuffgeräusche hingegen zum Weinen schön. Alfa Romeo und die elektrische Giulietta erzählt, was das Aus für Verbrennungsmotoren in der EU ab 2035 bei Menschen auslöst, die sich ein Leben ohne Benzin nicht vorstellen wollen – genauer gesagt bei einem Alfa Romeo Fanclub. Im Rahmen der Tangente hat das Kollektiv Wunderbaum eine überraschend witzige und vielschichtige Uraufführung ans Landestheater Niederösterreich gebracht.

Text: Felicia Schätzer

Offen gestanden hatte ich vor diesem Abend keine Ahnung, was ein Alfa Romeo ist. Einerseits bin ich als 95erin vielleicht zu jung und andererseits interessiere ich mich nicht für Autos. Ich wusste also weder etwas über Taurus-Sitze noch über die 70mm-Doppelauspuffanlage von Akrapovic. Ich wusste nicht, dass Alfa Romeos rostanfällig waren oder lange den Ruf als „Luxuswägen für Arme“ genossen. Am wenigsten hatte ich von einer 1986 stattgefundenen Firmenübernahme durch Fiat mitbekommen. Nur dieses Logo von der Schlange mit Kreuz – an das konnte ich mich dann doch irgendwo erinnern.

Zwei Schauspieler:innen krabbeln auf allen vieren über eine Theaterbühne
Ein Theaterabend im Zeichen einer Automarke. (Foto: Franzi Kreis)

Soundkulisse als Kopfkino

Das Stück beginnt, als im Dunkeln plötzlich laute Motorengeräusche angehen: Brummendes Gas, Quietschbremsen, Autotürknallen. Die dazu eingespielte instrumentale Untermalung erzeugt etwas Filmmusikhaftes. Und während sich das Stück in den ersten fünf Minuten auf diese Soundkulisse konzentriert, beginnt visuell erstmals alles im eigenen Kopf: Mich erinnern die Geräusche an Verfolgungsszenen, die man aus Actionfilmen kennt. Ein Zuseher in der Reihe vor mir fragt seinen Nachbarn, wann denn jetzt das Stück eigentlich anfangen würde.

Als der Vorhang aufgeht, sind da sechs an Stehtische gelehnte Personen: Ein Pärchen aus Deutschland, Vater und Sohn aus Italien und zwei Bekannte aus Holland. Sie tragen Alfa Romeo Fanschals und erzählen der Reihe nach in ihrer jeweiligen Sprache, wie sie mit welchem Auto zu diesem gerade hier und jetzt im Landestheater St. Pölten stattfindenden Alfa-Romeo-Kongress gefahren sind. Über einen Beamer wird das zeitgleich übersetzt und Fotos jener Modelle, über die sie gerade sprechen, an die Wand projiziert. Alfa Romeo Spider. Alfa Romeo Alfasud. Alfa Romeo GTV. Es gibt sehr, sehr viel zu besprechen über Alfa Romeos. Dabei wird schnell klar, was die sechs dort oben miteinander vereint, nämlich eine bedingungslose Liebe für ein und dieselbe Automarke.

„Giulia GT – vom Winde entworfen“

Einer der Protagonisten übernimmt sogleich die holprige Moderation des Abends und involviert das Publikum ins Stück: Wie geht es Ihnen? Wer von Ihnen fährt Alfa Romeo? Er stellt den unsichtbaren Techniker Felix vor und ruft anschließend den Stargast auf die Bühne: eine Opernsängerin in goldenem Glitzerkostüm. Wie verrückt das ist, wird an den Stellen offensichtlich, als sie im Laufe der über eineinhalb Stunden immer wieder auftritt, um italienische Arien als Intermezzi zwischen den Diskussionen zum Besten zu geben. Natürlich über – wie könnte es anders sein – Alfa Romeos. Wenn „Giulia Berlina – la macchina per la famiglia“ fünfmal hintereinander im Ostinato geträllert wird, kann sich niemand im Saal mehr vor Lachen halten. Ähnlich, als sich kurz darauf zwei Personen synchron zu den Geräuschen zuklatschender Autotüren auf den Rücken schlagen. Das Stück ist tiefironisch und dadurch ausgesprochen humorvoll – aber nicht nur.

Das Logo der Automarke Alfa Romeo
Italienische Kultmarke zwischen Edeltrash und Familienurlaub. (Foto: Edoardo Botez/Unsplash)

Denn während sich die Monologe des Fanclubs vordergründig um Autos drehen, werden im Subtext stets komplexe Gesellschaftsphänomene vermittelt, wunderbar niederschwellig: Es geht um Frauenquoten in Vereinen. Um Kulturunterschiede und Nationalbewusstsein. Um ein jugendliches Freiheitsgefühl, das einem der Führerschein und ein eigenes Auto ermöglichte. Es geht um die Frage, ob der von Red Bull gesponserte Max Verstappen den Motorsport ruiniert. Und schlussendlich geht es um Zukunftsängste: Denn was wird werden, wenn Autos bald nur noch automatisch fahren? Was wird werden, wenn die Auspuffe still bleiben und alles nur noch „E“ ist? Wie wird das sein, wenn ein Auto durch sein Selbstfahren plötzlich effizient genutzt werden kann? „Ja dann“, so die Schauspielenden, „wird es tatsächlich Büro-Autos oder Disco-Autos geben.“ „Du musst nichts mehr bedienen, die Systeme bedienen dich.“ Und es wird leise im Saal. Denn sie haben Recht: Keine Ahnung, was die Zukunft bringt, egal in welcher Hinsicht.

„Die Faszination für ein Verkehrsmittel kann wie eine Krankheit sein, irrational, nicht erklärbar“

Was Alfa Romeo und die elektrische Giulietta eindeutig mit Bravour schafft, ist eine interessante Ernsthaftigkeit aus seinem ironisch-trashigen Thema herauszuholen. Diese Ernsthaftigkeit wird sogar Auto-Desinteressierten wie mir spannend aufbereitet: Als beispielsweise ein Schauspieler zu erklären versucht, woher seine Leidenschaft zu Alfa Romeos kommt: „Die Faszination für ein Verkehrsmittel kann wie eine Krankheit sein, irrational, nicht erklärbar.“ Und an solchen Textstellen ist eigentlich überhaupt nichts ironisch. Da geht es um echte Liebe, Empfindungen und Berührung, und man versucht diese in Worte zu fassen. Auch dann, wenn es heißt: „Unsere Gefühle für Alfa Romeo sind größer als Worte.“

Der Kongressabend ist konzeptuell so gelungen, dass man sich schon hin und wieder beim Gedanken ertappt, ob das hier möglicherweise gerade wirklich stattfindet und gar keine Inszenierung ist. Irgendwie werden wir Zusehenden im Laufe des Abends nämlich selbst zu einem Teil des großen Alfa-Romeo-Fanclubs und ganz in die Autokongresssituation gezogen, hinauf auf die spärlich gefüllte Bühne, die in dem Sinn gar keine richtige Bühne mehr ist.

Sein Ende findet das Stück in stiller Andacht: Die sechs Figuren begeben sich mit Modellautos auf den Boden und kriechen dort reihenweise in Zeitlupe und Vierfüßlerstand. Das löst einerseits beim Publikum einen schönen Reflexionsmoment aus und erinnert andererseits an die Spielhaftigkeit des Theaters sowie an die naiven, kindlichen Aspekte beim Thema Auto.

Theater als Kultraum

Das Theaterstück schließt, zumindest in mir, eine Lücke fehlendes Allgemeinwissen über ein italienisches Auto mit Kultstatus und Luxusanspruch. Es geht um den Wagen einer Generation, die älter ist als ich und sich in den meisten Fällen nicht für Theater interessiert. Genau wie sich eine theaterinteressierte Person normalerweise nicht sonderlich für Autos interessiert. Dass diese Inszenierung also womöglich Leute in einen Kulturraum lockt, die sonst nicht unbedingt dort hingekommen wären, sehe ich als großen Erfolg. Und wenn dann diese Leute einerseits zum Lachen und andererseits zum Nachdenken gebracht werden, spreche ich dem Kollektiv Wunderbaum und der Endregie Maartje Remmers’ meinen vollsten Respekt aus! Über E-Mobilität den Bogen zum Ökologie-Schwerpunkt der Tangente zu schlagen, regt dazu an, sich zu fragen, wie man sich in Zukunft wohl frei, mobil und uneingeschränkt fühlen könnte. Fast finde ich es schade, mich nie in einen Alfa Romeo verliebt zu haben.

[Die nächsten Vorstellungen von Alfa Romeo am Landestheater St. Pölten finden am 12. und 16. Oktober 2024 statt.]

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