Dritter und letzter Tag von „Tipping Time“: Den Tangente-Besucher*innen bot sich ein breites Spektrum davon, wie Klimaschutz aussehen kann. Am „Tag der Initiativen“ versammelten sich engagierte lokale Organisationen im St. Pöltner Sonnenpark, um rundum das Klimabewusstsein zu festigen. KREDO war vor Ort bei der „Klimakonferenz der Zivilgesellschaft“, wie sich „Tipping Time“ im Untertitel selbst beschreibt, und hat bei Initiator*innen wie Interessent*innen nachgefragt, wie sie den Tag auf sich wirken haben lassen.
Reportage: Mahsa Ehsani und Sahar Hashimi
Als erstes lauschten wir im mobilen Stadtlabor der Kulturwissenschaftlerin Karin Harasser, die einen Vortrag über „Winds of Change: Klimapolitische Turbulenzen“ hielt. Gegen Ende des Festivaltages konnten wir mit ihr persönlich über ihre Arbeit sprechen.
Kultur ist Natur ist Kultur
Was sind die Hauptthemen, die Sie als Kulturwissenschaftlerin erforschen?
Als Kulturwissenschaftlerin beschäftigt man sich mit diesem großen Thema Kultur. Faktisch, darf ich mich mit allem beschäftigen, was ich interessant und was ich gut finde. Das heißt, mit sämtlichen Kulturen, früheren, jetzigen, vielleicht sogar zukünftigen, und in letzter Zeit – und das bringt mich auch hierher zu diesem Festival – auch mit dem Verhältnis von Kultur und Natur. Früher hat man geglaubt, Kultur habe etwas mit Musik, Theater oder Bildern zu tun. Inzwischen merkt man, die Art und Weise, wie wir leben, also wie wir unsere Kultur gestalten, hat auch total viel damit zu tun, wie wir mit der Natur umgehen. Und deshalb ist inzwischen für mich auch diese Frage so spannend: Wie lässt sich unsere gesamte Einstellung zur Welt neu denken, damit wir irgendwie zu Rande kommen mit dieser großen Unsicherheit, die mit dem Klimawandel verbunden ist.
Gab es heute etwas Bestimmtes, das Sie persönlich mitnehmen konnten?
Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, immer wieder gespürt zu haben, dass dieser Ort gleichzeitig ganz jung und ganz alt ist. Er hat so eine lange Geschichte, auch eine komplizierte. Wenn man so durchgeht, sieht man überall diese neuen Bäume. So wie Babybäume oder Teenagerbäume. Und daneben die ganz großen. Zu sehen, wie schnell sich so ein Ort zum Guten verbessern kann, das ist ganz schön beeindruckend.
Welche Bedeutung hat Natur für Sie?
Diese Idee, dass wir Menschen irgendwas wären, was nicht Natur ist, ist schon mal falsch. Wir sind ja selbst Teil der Natur. Wir haben ja organische Körper. Und deshalb ist für mich Natur nicht irgendwas, was ich bestaune oder bewundere oder was ich schön finde am Wochenende, sondern ich bin Natur.
Gegen die Verschwendung von Lebensmitteln
Dann ging es für uns weiter zu den Ständen, die den Sonnenpark zu einem Ort der Begegnung machten. Begonnen haben wir bei der internationalen Initiative „Foodsharing“, die sich seit 2012 für einen bewussteren und ressourcenschonenderen Umgang mit Lebensmitteln einsetzt. Außerdem schaffen sie es durch ehrenamtliches Engagement, tonnenweise gerettete Lebensmittel kostenlos der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wir trafen Maria und wollten Genaueres über ihre Arbeit erfahren.
Was ist das Ziel von „Foodsharing“?
Wir möchten zuerst einmal bewirken, dass die Menschen nachdenken und nicht ständig Lebensmittel wegwerfen. Viele Menschen schmeißen Lebensmittel sofort weg, wenn das Ablaufdatum überschritten ist. Dabei weiß man ganz genau, dass viele Produkte Wochen, auch Monate länger halten und völlig gefahrenfrei zu essen sind. Ich ermuntere Menschen dazu: Schau dir die Sachen an, riech dran und koste ein bisschen. Und wenn es noch gut schmeckt, na dann ist es sicher bedenkenlos. Es gibt so viel Hunger in der Welt – und wir schmeißen das Essen weg.
Wie seid ihr organisiert?
Wir haben in St. Pölten eine eigene Foodsharing-Gruppe, die schon über 172 Mitglieder hat, die aktiv sind und arbeiten. Wenn wir mehr Bewusstsein schaffen, werden noch mehr Betriebe einsteigen und sagen: Ich schmeiße Lebensmittel nicht in den Müll, ich gehe eine Kooperation mit Foodsharing ein.
Fridays for Future im schwarz-blauen NÖ
Auch von der Fridays-for-Future-Bewegung befanden sich Vertreter*innen im Sonnenpark. Ausgestellt waren einige Fotos von erfolgreichen Kampagnen und Klimastreiks der letzten Jahre. Einer der Mitglieder*innen vor Ort war Josef Fuchs, der gerne für Beratung und Gespräche rund um das Thema Klimaschutz und Klimaaktivismus zur Verfügung stand. Wir haben mit ihm gesprochen.
Was wollt ihr heute mit diesem Stand bewirken?
Wir wollen einerseits bewirken, die Bewegung offen zu halten und neue Gesichter mitzubekommen. Aber wir wollen auch einfach der Bevölkerung erklären: Was ist Fridays for Future, was machen wir?
Wird eure Arbeit als Fridays for Future Niederösterreich durch die schwarz-blaue Regierung erschwert?
Als Demo-Bewegung ist es glaube ich immer ein bisschen schwierig, sich für etwas einzusetzen, etwas durchzusetzen. Da hat man es immer schwer, egal, wer jetzt in der Regierung ist. Natürlich machen es uns die Blauen teilweise noch viel schwieriger, aber man muss einfach gegen viele Sachen kämpfen und einfach stark aufstehen und dabeibleiben.
Aufblühende Gesellschaften
Bei der nächsten Station begegneten wir Moritz und Daniel von „the flourishing society“, einer jungen Gruppe aus der Ökologie-Bewegung. Sie sehen ihre Mission darin, althergebrachte Narrative, die ein Hindernis auf dem Weg zu einer klimagerechten Welt darstellen, zu dekonstruieren. Damit wollen sie die Gesellschaft mit einem neuen, positiven, pragmatischen Mindset ausstatten, das neue nachhaltige Systeme kreiert. Bei ihrer Arbeit stützen sie sich nicht nur auf die Wissenschaft, sondern sind aktiv in Interaktion mit Bürger*innen und holen auch ihre Meinung ein. Zur Schau stand im Sonnenpark eine KI-generierte Fotoreihe, die Aspekte wie Achtsamkeit oder Verbundenheit zeigte bzw. symbolisierte, die zu einer positiveren Atmosphäre beitragen könnten.
Was hat konkret das erste Bild eurer Fotoserie (eine Fake-Werbung bei einer Bushaltestelle) mit Klimaschutz zu tun?
Eine der Hauptursachen für die ökologischen Probleme ist, dass wir die Natur viel zu sehr beanspruchen – durch die Produktion von immer mehr Dingen für immer mehr Wirtschaftswachstum. Das Absurde dabei ist, dass uns aber der Besitz von immer mehr Dinge nicht immer glücklicher macht, wie die Psychologie zeigt, sondern ab einem bestimmten Level eher das Gegenteil bewirkt. Wenn man sehr stark fokussiert ist auf „Was habe ich alles? Wie ist mein Status? Wie schaue ich aus?“, macht das eher unglücklich.
Ein Baum für Jina Mahsa Amini
Kurz vor unserem Aufbruch nach Hause hatten wir eine zufällige Begegnung mit Manizheh Mohammadzadeh, die den Kaffee- und Kuchenstand betreute. Aufgefallen ist sie uns durch ihr rotes T-Shirt, auf dem der Slogan „Woman, Life, Freedom“ gedruckt war. Die ehrenamtliche Helferin erzählte uns von ihren aktivistischen Tätigkeiten für die Rechte der Iraner*innen – besonders der im unterdrückenden Regime entrechteten Frauen. Außerdem verriet sie uns im Gespräch, dass im Sonnenpark – teils durch ihr Engagement – ein Baum zum Gedenken an Jina Mahsa Amini gepflanzt wurde. Die Ermordung der kurdischen Iranerin durch die iranische Sittenpolizei im September 2022 hatte die zuvor in Kurdistan laufenden Protestwellen mit der Parole „Jin, Jiyan, Azadi“ auch im Iran zum Leben erweckt. Noch heute werden viele Demonstrierende festgenommen und einige zum Tode verurteilt. Und auch an diesem Tag, wo sie mit uns im Sonnenpark spricht, war Manizheh zurvor bei einer Kundgebung in Wien gegen die bevorstehende Hinrichtung von Mahmoud Mehrabi gewesen.
Danach sprachen wir mit einigen Besucher*innen des Sonnenparks. Das Feedback reichte von Lob über das Essen und die Bastelstation bis hin zu einem insgesamten „Super gelungen!“ über die ganzen drei Tage. Auch wir konnten spüren, wie viel Planung und Mühe hinter dieser Veranstaltung stand und finden die Umsetzung gelungen.
Klimapolitik zum Wohlfühlen?
Aber auf die Frage, ob bei dieser dreitägigen „Klimakonferenz der Zivilgesellschaft“ tatsächlich alle Stimmen aus der Gesellschaft eingebunden waren, müsste man mit einem Kopfschütteln antworten. Und das, obwohl infolge des beschleunigten Klimawandels gerade Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, eine erhöhte Vulnerabilität durch intersektionale soziale Ungleichheiten aufweisen.
Genau das gilt auch im globalen Kontext. Besonders gefährdet sind Länder in Afrika, Südasien sowie Mittel- und Südamerika, während sie gleichzeitig am wenigsten zur Klimakrise beitragen. Bei einer so langen Zeitspanne von drei Tagen und den umfangreichen Ressourcen hätten wir uns doch gewünscht, dass die Besucher*innen mit einem kritischeren und einem horizonterweiternden Blick auf die aktuellen Sachverhalte der Klimapolitik ausgestattet werden würden – doch vergeblich.
Bei einer Klimakrise, die immer radikaler und heftiger wütet, bleibt zu hoffen, dass der „gentle activism“, den wir im Sonnenpark hauptsächlich gesehen haben, sich auch irgendwann entsprechend wandelt. Und erkennt, dass er seine Privilegien und seine Räume nutzen muss, um endlich gezielte Forderungen und Maßnahmen von Entscheidungsträger*innen zu verlangen.