Interviews

„Vielleicht sind wir uns am Ende doch alle sehr ähnlich“

Alfa Romeo ist keine Automarke, sondern eine Lebenseinstellung. Diese Mentalität bringt das Theaterkollektiv Wunderbaum auf die Bühne. Im Interview spricht Kollektiv-Mitgründer Walter Bart über Bubbles, Zukunftsängste und die Europawahlen. 

Interview: Magdalena Willert

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Die Tragikomödie Alfa Romeo und die elektrische Giulietta wurde am 11. Mai im Landestheater St. Pölten uraufgeführt und handelt von einem internationalen Treffen von Alfa-Romeo-Fans, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Deren Liebe zur mailändischen Automarke und die Angst vor einem Verbrenner-Aus verbindet sie jedoch über alle Sprach- und Identitätsbarrieren hinweg. Das Stück des niederländischen Kollektivs Wunderbaum wird noch an zwei Terminen im Oktober 2024 im Landestheater St. Pölten gespielt. KREDO hat Wunderbaum-Mitglied Walter Bart in St. Pölten getroffen.

Herr Bart, warum ausgerechnet Alfa Romeo? 
Walter Bart: Ein Mitglied vom Wunderbaum wohnt in Mailand und merkte, welche starke Verbindung viele Menschen zur Automarke haben. Wir fanden heraus, dass es mindestens 300 Alfa-Romeo-Klubs auf der ganzen Welt gibt, unter anderem in Südamerika, Indien und China.

Warum ist die Verbindung zu dieser Marke so stark?
Menschen sind anscheinend begeistert von den Auspuffgeräuschen der Alfa-Motoren. Das fanden wir lustig. Und gleichzeitig vermuteten wir, dass bei Alfa-Fans die kontroverse Transitionsfrage aufkommen wird, weil ab 2035 in der ganzen Europäischen Union kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden darf. Wir haben angefangen, Alfa-Fans aus Österreich, Deutschland, Italien und den Niederlanden zu interviewen und sie zu fragen, wie ihre Gefühle für ihre Alfa Romeo und den bevorstehenden Veränderungen sind. So sind die Texte das Theaterstücks entstanden. 

Zwei Schauspieler:innen krabbeln auf allen vieren über eine Theaterbühne
„Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“ im Landestheater St. Pölten. (Foto: Franzi Kreis)

Ein paar dieser Fans saßen im Publikum und wurden über das Stück hinweg immer wieder von den Schauspielenden in Gespräche über Alfa Romeo verwickelt. Was war eure Intention dahinter? 
Das Publikum soll einerseits denken, dass die Schauspieler:innen auf der Bühne echte Alfa-Fans sind. Wenn sich diese dann mit den Menschen aus dem Publikum unterhalten, die wirkliche Alfa-Fans sind, kommt die Frage auf: “Hä, sitzen die jetzt auch neben mir?” Diese Verwirrung finde ich spannend.   

Autos werden momentan sehr politisiert. Rechte Parteien benutzen Autos als Instrument, um eine Identität zu stärken.

Man könnte meinen, dass extreme Fans einer Automarke normalerweise kaum ein Theater besuchen würden. Umgekehrt würden stereotype Theaterbesucher:innen nicht Teil eines Auto-Fanklubs sein. War euer Ziel, diese zwei Welten zu vereinen? 
Wir versuchen mit Wunderbaum Bubbles zu untersuchen. Das sorgt für Überraschungen, weil Bubbles nicht immer so sind, wie man denkt. In der Kulturszene gibt es Autofahrer:innen und unter den Alfa-Romeo-Fans befinden sich auch viele Radfahrer:innen. Ich glaub, manche Annahmen entstehen dadurch, dass Autos momentan sehr politisiert werden. Man denkt: Autofahrer:innen wählen AFD oder FPÖ! Rechte Parteien benutzen Autos als Instrument, um diese Auto-Identität bei Menschen zu triggern und sie zu stärken. Deshalb wollten wir hier das Thema aufbauschen. Alfa-Romeo-Fans sind „extrem“, aber es beschäftigen sie Fragen, die uns alle angehen. 

Zum Beispiel, wie die Zukunft aussehen wird? 
Ja. Wir leben in einer Zeit von extremer Umwandelung auf viele Ebenen – Demokratie, Wirtschaft, Technologie. Das sorgt für große Unsicherheit bei Menschen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Zukunft aussehen wird. Wenn ich lese: „In fünf Jahren sind alle Jobs weg“, dann frage ich mich, wie es uns als Gesellschaft damit gehen wird. Emotionen entstehen oft aus Traditionen oder Gewohnheiten. Und so kann für manche Menschen auch die Umstellung zu Autos, die plötzlich kein Geräusch mehr machen, beängstigend sein.  

Ich war ein wenig überrascht, dass keines der Klubmitglieder im Theaterstück den Klimawandel leugnet. Glauben Sie, dass die meisten Autoliebhaber:innen sich der Auswirkungen von Autos auf die Klimakrise bewusst sind? 
Bei den Clubs, die wir besucht haben, sind wir weniger auf dieses Problem gestoßen. Ich fand die Frage nicht interessant genug, um eine Erzählung rund herum aufzubauen. Ich glaube schon, dass viele von ihnen den Klimawandel ignorieren, aber ich finde es fast spannender zu untersuchen, wie der Lebensstil von Menschen aus einer klimabewussteren Umgebung aussieht. Fliegen sie beispielsweise hin und wieder oder essen sie Dinge, die von weit herkommen? Dass macht sie auch in gewisser Art und Weise auch zu „Klimaleugner*innen“. 

Wie ist Ihr Zugang zu Autos?  
Mittlerweile eher pragmatisch, aber als Jugendlicher hatte ich eine emotionale Verbindung zu Autos, würde ich sagen. Ich las damals gerne den Roman „On the Road” von Jack Kerouac. Das war eine bizarre amerikanische Fantasie, wo unglaublich viel Auto gefahren wurde. Damit wurde ein Gefühl der Freiheit verbunden. Vagabunden. Daraufhin habe ich mir einen Mercedes gekauft, in dem ich auch schlafen konnte. Ich fand das alles sehr cool. Das hat sich dann aber geändert. Dass man seine Identität so dran aufhängt, finde ich mittlerweile ein bisschen peinlich. 

Welche Rolle spielt für Sie Humor in einem Stück? 
Wir nennen unsere Produktionen meistens Tragikomödien. Bei uns ist Humor ein wichtiger Teil eines Stückes, weil er Raum öffnet. Die Absurdität treibt uns an. Ich glaube, es ist für uns absurd, dass es solche extremen Autofans gibt und dass wir von außen in diese Bubble schauen dürfen. Das ist für mich einfach witzig.  

Die Figuren des Stücks tragen ihre Texte auf Deutsch, Italienisch und Niederländisch – inklusive Übersetzung – vor. Warum diese Unterstreichung der unterschiedlichen Nationalitäten? 
Uns war die Mehrsprachigkeit wichtig, um zu zeigen, dass wir Teil von etwas Größeren sind. Das merkt man besonders durch die Europawahlen. Das fühle ich, wenn ich die unterschiedlichen Sprachen auf der Bühne höre. Ich frage mich plötzlich: Was ist Sprache? Wo komme ich her? Was ist Identität? Dazu kommen die Klischees, die wir übereinander haben. Wir in Europa sind alle so unterschiedlich. Aber vielleicht sind wir uns am Ende doch alle sehr ähnlich.

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