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Wann klingt der Klangturm?

Nach über zehn Jahren verordneter Stummheit wurde der St. Pöltner Klangturm seinem Namen endlich wieder gerecht. Im Rahmen des Festivals StadtLandFluss wurde der Turm zwei Tage lang bespielt.

Text: Josef Sommer, Foto oben: IMA Institut für Medienarchäologie

Wenn ich mit dem Rad von meiner Wohnung in die Innenstadt von St. Pölten fahre, komme ich jedes Mal am Klangturm im Regierungsviertel vorbei. Im Vorjahr stand dort eine zeitlang ein Klapprahmen-Plakatständer mit dem Hinweis, dass auf dem Platz direkt vor dem Turm nur Vertreter:innen der Presse ihr Auto abstellen dürfen. Auf der Rückseite des Infoständers war mit dickem Filzstift geschrieben: „Wann klingt der Klangturm?“

Als ich diese unkonventionell vorgebrachte Eingabe eines anonymen St. Pöltners an die rundum arbeiteten Landesbeamt:innen das erste Mal sah, dachte ich: „Gute Frage!“ Ich hätte zu diesem Zeitpunkt nicht sagen können, wann vom Turm zuletzt Klänge ausgegangen wären. Auf der Homepage des Landes Niederösterreich findet man dazu folgende Information: „Kurator des Klangturms war in den Jahren 2005 bis 2013 der Komponist und Sounddesigner Hannes Raffaseder. Sein Anspruch war es, unterschiedliche Hörerlebnisse zu bieten und auf spielerische Weise zugänglich zu machen. […] Aus bautechnischen Gründen musste der aktive Betrieb 2014 eingestellt werden. Seither wird der Klangturm vorrangig als Aussichtsterrasse genutzt.“

Der Klangturm, das geschmähte Wahrzeichen des St. Pöltner Regierungsviertels. (Foto: Niederösterreich-Werbung / Romeo Felsenreich)

Kühnes Klangkonzept

Über zehn Jahre sind also seit dem Verstummen des von Ernst Hoffmann geplanten und 1996 errichteten Turms ins Land gezogen. Nun hat die Tangente St. Pölten das scheinbar Unmögliche möglich gemacht: Der Klangturm wurde als wesentlicher Veranstaltungsort des Tangente-Musikfestivals StadtLandFluss eingeplant.

Elisabeth Schimana, Kuratorin des Klangturm-Programms im Rahmen von StadtLandFluss, bestätigt jedoch, dass St. Pöltens zweithöchstes Gebäude alles andere als ein leichter „Partner“ ist. Denn bei Stark- oder Dauerregen dringt tatsächlich Wasser in die Innenräume: „Die Veranstaltung war daher ein risikobehaftetes Unternehmen. Wenn es in der Woche davor geregnet hätte, wäre dort überall das Wasser gestanden“, so Schimana. Zudem habe man bei der Errichtung des Turms auf den Einbau einer Heizung verzichtet, was zusätzliche Probleme bei Kälte und mit der Bildung von Kondenswasser schaffe. Die Außenfassade bestehe ja zum größten Teil aus Glas.

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Kugelnder Klangwurm

Elisabeth Schimana ist Komponistin, Performerin und Radiokünstlerin sowie Gründerin von IMA Institut für Medienarchäologie, das an der Bruchstelle von analog und digital und an der Schnittstelle von Forschung und Vermittlung insbesondere in Zusammenhang mit Akustik, Klangmaschinen und digitaler Musik arbeitet. Ihr Programm im Klangturm stand unter dem Motto „Ins Rollen bringen“ und drehte sich um die Begriffe Turntablism und Do-it-yourself.

Auf der ersten Klangebene installierte Elisabeth Flunger den Klangwurm, eine musikalische Murmelbahn auf der Murmeln, Kugeln, Tennis- und Golfbälle herunterrollen und gegen metallische Gegenstände – Rohre, Glocken, Siebe und anderes mehr – stoßen. Auf diese Weise entstehen – einerseits aufgrund der unterschiedlichen Materialien der Kugeln und Bälle und andererseits aufgrund der Anzahl der jeweils gleichzeitig gestarteten Kugeln – eine Menge unterschiedlicher Geräusche. Das Publikum war zum Mitspielen aufgefordert und beteiligte sich rege an der Klangproduktion. Flunger bot darüber hinaus gemeinsam mit Arnold Haberl an beiden Tagen konzertante Interventionen auf dem Klangwurm.

In der ersten Klangkugel konnte man der Klanginstallation Drehmomentmal – Inertia I, II, III von Christine Schörkhuber lauschen. Hier drehten sich Halbkugeln in unterschiedlichen Größen, in denen einzelne Glaskugeln, Plastikbälle oder auch mehrere Metallkügelchen in Bewegung gebracht wurden. Durch Beschleunigung und Nachrollen wurden markante Klänge erzeugt.

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Kyklopische Klangexperimente

In der zweiten Klangkugel war der St. Pöltner Thomas Nagl mit seiner Klanginstallation cycloop zu Gast. Dafür funktionierte er einen Turntable zur Quelle der Klangsteuerung so um, dass dieser als Impulsgeber und Steuerelement für verschiedene Klangerzeuger fungieren konnte. Das Konzept baut auf der Idee von Locked Grooves auf. Hierbei handelt es sich um Klangschleifen, die durch die Verbindung von Ende und Anfang einer Schallplattenrille realisiert werden. Im Fall von cycloop wird jedoch kein bereits auf Platte gepresstes Klangmaterial wiedergegeben, vielmehr regen Elemente auf dem Plattenteller mit jeder Umdrehung Klänge an.

Blick vom zweihöchsten zum höchsten Turm der Stadt. (Foto: Niederösterreich-Werbung / Romeo Felsenreich)

Am Abend des ersten Tages gab es auf der Aussichtsplattform auch noch die confluent spheres Lounge, in deren Rahmen Turntablista Masha Dabelka und Floating Sketches – das St. Pöltner Brüderpaar Tobis und Florian Schiel – abwechselnd performten. Ein Programmpunkt, der inhaltlich auch für Elisabeth Schimana neu war: „Aber IMA macht immer Experimente.“

Ergänzend wurden von Timo Riess, Gründer von Architekturerbe Österreich, unter dem Titel Stadt.Turm.Geschichte ausgehend vom Klangturm Führungen geboten, im Zuge derer er die politische, planerische und bauliche Geschichte des St. Pöltner Regierungsviertels erzählte.

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Künftig klanglos?

Die Idee, den Klangturm zu revitalisieren, ist eine Herzensangelegenheit des Instituts für Medienarchäologie, unterstreicht Elisabeth Schimana. Sie will etwas ins Rollen bringen: „Wir hatten schon ein erstes Gespräch mit der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich, wo wir ein Revitalisierungskonzept präsentiert haben, das IMA gemeinsam mit dem Architekturnetzwerk Niederösterreich erarbeitet hat. Aber wir können nur die Ideen bereitstellen. Für die Umsetzung muss es auch den politischen Willen geben.“

Mir als Autor dieser Zeilen steht es nicht zu, in Sachen Klangturm sämtliche in den letzten Jahren zuständigen Politiker:innen – jene für kulturelle und museale Angelegenheiten sowie jene für die Verwaltung landeseigener Bauten und Liegenschaften – zu kritisieren. Als niederösterreichischer Bürger ist mir allerdings erlaubt, eine Frage zu stellen: Wie konnte es so weit kommen, dass sich der Klangturm, der von den Verantwortlichen, die sich tagtäglich in seinem unmittelbaren Umfeld aufhalten, oft sogar als Wahrzeichen des Regierungsviertels bezeichnet wird, nun in einem doch ziemlich verwahrlosten Zustand befindet?

Ich denke, man wird früher oder später – unabhängig von einer Klangbespielung – ohnehin Investitionen in den Turm tätigen müssen, allein schon um seine Minimalfunktion „Aussichtsterrasse“ aufrechtzuerhalten. Sollte man „den schönsten Ausblick auf die Landeshauptstadt St. Pölten und die hügelige Umgebung“ (zitiert nach Landes-Homepage) auch nicht mehr bieten können, wird der Klangturm bald zu seinem eigenen Denkmal degradiert.

PS: Andi Fränzl, Gesamt- und Musikkurator von StadtLandFluss, und sein Team lieferten übrigens ein interessantes, vielfältiges und vor allem unterhaltsames Festivalprogramm, das trotz Fußball-EM und anderer zeitgleich stattfindender Veranstaltungen in der Stadt viele Besucher:innen ins Regierungsviertel lockte. Unabhängig davon, wie es mit der Tangente in den kommenden Jahren weitergeht – StadtLandFluss sollte in dieser Form auf jeden Fall am Leben erhalten werden.

PPS: Am 3. Oktober 2024 kommt im Dom zu St. Pölten im Rahmen der Tangente-Serie Orgel Experimentell das Auftragswerk Virus #3.6 – Twilight Zones von Elisabeth Schimana zur Aufführung. Domorganist Ludwig Lusser und die Musiker:innen des Black Page Orchestra werden die auf einem elektronischen Klangkörper live generierte audiovisuelle Partitur so präzise wie möglich imitieren und interpretieren. „Eine große Herausforderung“, betont Schimana, denn sämtliche Beteiligten betreten mit diesem Werk künstlerisches Neuland.

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