Kritiken

Jazz und Johannesburg

Eine improvisierte Navigation durch Raum und Zeit. Das Tanzstück blue nile to the galaxy around olodumare zog von der ersten Minute an das Publikum im St. Pöltner Festspielhaus in den Bann. Die bereits dritte Kooperation des US-amerikanischen Choreografen Jeremy Nedd mit dem südafrikanischen Tanz-Kollektiv Impilo Mapantsula will den (Afro-) Futurismus neu definieren und bestreiten.

Text: Mahsa Ehsani Fotos: Zivanai Matangi, Frans Schellekens, Jean-Marc Virgin

Die musikalische Begleitung für dieses Unterfangen lieferten der südafrikanische Jazz Pianist und Komponist Bheki Mseleku sowie die US-amerikanische Pianistin und Harfenistin Alice Coltrane. Was diese Künstler*innen für den in Basel ansässigen Tänzer so besonders macht, ist ihre bemerkenswerte Begabung in der Piano-Improvisation. Letztgenannte legte außerdem mit ihrem Mann John Coltrane den Grundstein des Spiritual Jazz. Auch bekannt war die Hindu-Lehrerin später unter dem Namen Swamini Turiyasangitananda, den man auf deutsch als „das höchste Lied der Glückseligkeit des transzendentalen Gottes“ übersetzen könnte.

Die US-amerikanische Jazzmusikerin Alice Coltrane Turiyasangitananda

Der Tanz der Revolution

Hinter der energetischen Choreografie steckt aber mehr als nur pures Entertainment. Der Pantsula-Tanz, der in den 1950-60ern in den Schwarzen Townships Johannesburgs während der Apartheid, geboren wurde, trägt das Stück, wie einst Atlas die Welt auf seinen Schulter trug. Pantsula ist somit mehr als ein Tanz, der seinem Performer:innen ein ausgefeiltes Takt- und Rhythmusgefühl abverlangt. Er ist ein virtuoser Ausdruck des Aufstands und der Resilienz. Im Laufe der Zeit hat Pantsula die Grenzen seiner Heimat überschritten und wird nun weltweit von südafrikanischen Jugendlichen als kulturelles Element gesehen, mit dem sie ihre Identität und Geschichte verkörpern können.

Das südafrikanische Tanz-Kollektiv Impilo Mapantsula

Quo vadis?

Eine große Inspiration für das Stückes sind die ersten Aufzeichnungen des James Webb Teleskops, die am 12. Januar 2022 veröffentlicht wurden. Darin konnte man Galaxien sehen, die Milliarden von Lichtjahren von unserem Planeten entfernt sind. Für James Nedd war das ein erfreulicher wissenschaftlicher Fortschritt, aber er stellte sich die Frage, ob wir als Menschheit auch gesellschaftlich große Fortschritte machen? Haben wir es geschafft, die ausbeuterischen und unterdrückenden Strukturen der Welt zu dekonstruieren? Sind die Zeiten der Unterdrückung und Ausbeutung Schwarzer Menschen – ob die in den USA, Südafrika oder anderswo – vorbei?

Das Ziel des Stückes ist es also nicht nur transzendentalem Jazz zuzuhören und fesselndem Pantsula-Tanz zuzusehen sondern auch anzuregen, darüber zu reflektieren, in welchen historischen Kontexten beide Kunstformen entstanden sind. Hoffentlich begreifen Besucher:innen, dass die Kämpfe um Gerechtigkeit, die Schwarze Menschen in Südafrika oder den USA damals geführt haben, immer noch in irgendeiner Weise fortgeführt werden. Und genau wegen dieser Vergangenheit ist es den Machern wichtig, die Gegenwart und Zukunft neu zu definieren.

 

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