Der Hochsommer veranlasst so manchen Lokalpolitiker, sein Mütchen an der Tangente zu kühlen.
Kommentar: Josef Sommer, Fotos: Peter Rauchecker
Anlässlich des Amtsjubiläums des St. Pöltner Bürgermeisters Matthias Stadler flatterte die NÖN-Publikation 20 Jahre für St. Pölten per Postwurf in sämtliche Haushalte der Stadt. Darin kommen auch die politischen Mitbewerber des SPÖ-Bürgermeisters zu Wort. NEOS-Gemeinderat Niko Formanek thematisiert den Schuldenstand der Gemeinde und kritisiert vor allem die Höhe der Ausgaben für Kultur: „Die Tangente allein kostet 17,6 Millionen Euro bei 45.000 erwarteten Besucher:innen. Macht also 390 Euro Subvention pro Besucher:in.“
Am 5. Juli veröffentlichte die NÖ Kulturlandeshauptstadt St. Pölten GmbH jedoch eine Pressemitteilung, wonach die Tangente St. Pölten bei bislang 186 Veranstaltungen 162.000 Besucher:innen zählen konnte. Die Gesamterwartung bei den insgesamt 250 geplanten Veranstaltungen liege bei 300.000 Besucher:innen.
Was darf Kunst kosten?
Spielt man Formaneks trotzig vereinfachte Rechnung mit dieser korrekten Zahl durch, schmilzt seine „Subvention pro Besucher:in“ auf lediglich 58,66 Euro. Wobei der Politiker der Unternehmer-Partei NEOS dabei die Umwegrentabilität des Festivals noch komplett außer Acht lässt. Das Geld wird ja nicht eins zu eins auf die Konten der Künstler:innen überwiesen. Die Tangente bezahlt auch unzählige Mitarbeiter:innen, Helfer:innen, Bühnenarbeiter:innen, Techniker:innen und Publikumsbetreuer:innen in der Stadt.
Zudem beschäftigt sie regional ansässige Firmen aus den Bereichen Equipment-Verleih, Logistikleistungen, Personentransport und anderes mehr. In dieser Rechnung werden darüber hinaus vor Ort generierte Ausgaben der Besucher:innen – Gastronomie, Hotellerie, öffentlicher Verkehr – ebensowenig berücksichtigt wie die Steigerung der Bekanntheit und des Images der Stadt durch die Tangente und damit verbundene zukünftige Einnahmen. Hängenbleiben soll aber die Botschaft: „390 Euro Subvention pro Besucher:in.“
Rechenkönige
Gegen den FPÖ-Gemeinderat und Landtagsabgeordneten Martin Antauer – eine Kombination übrigens, mit der manch andere von Vertreter:innen seiner Partei auch schon mal als Ämtermultis bezeichnet wurden – ist Niko Formanek allerdings nur ein populistisches Tschapperl.
Antauer stellt in einer Presseaussendung vom 10. Juli ebenfalls eine Rechnung an: „17,6 Millionen Euro, also rund 650 Euro pro St. Pöltner Haushalt kostet das gesamte Kunstprojekt Tangente, wobei ein Desaster mit wenigen Besuchern vorprogrammiert ist.“ (Kommafehler im Original.) Zum einen ist nicht nachvollziehbar, wie Antauer auf die „wenigen Besucher“ kommt, zumal fünf Tage zuvor die Besucherzahl 162.000 veröffentlicht wurde. Zum anderen macht die Umlage der Kosten auf die St. Pöltner Haushalte keinen Sinn. Außer man möchte suggerieren, dass alleine die Bürger:innen der Stadt in Form einer indirekten „Haushaltsabgabe“ für die Festivalkosten aufkommen.
Kunstkritik mit Stallgeruch
Aber der FPÖ-Mandatar wagt sich auch auf das glatte Parkett der Kunstkritik. Mit Verweis auf die Installation Fear of Smell / Smell of Fear_12_24 im Rahmen des Kuntparcours The Way of the Water sowie die Performance Super Farm, die allerdings erst Ende September zur Aufführung gelangt, stellt er stilsicher fest: „Diese linke, kranke Kunst ist nichts als Steuergeldvernichtung.“
Die Kombination „links“ und „krank“ in Bezug auf Kunst ist natürlich gewagt, weil sie einen unweigerlich daran erinnert, wer sie im vergangenen Jahrhundert aufgestellt hat. Es war Adolf Hitler, der in seinem Machwerk Mein Kampf die Kunst in den „bolschewisierten Staaten“ als „die krankhaften Auswüchse irrsinniger und verkommener Menschen“ beschrieb. Das war neun Jahre vor seinem Aufstieg zum „Volkskanzler“.1
Der Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht unbedingt die Meinung von KREDO oder von Vertreter:innen der Tangente dar.
- Eine von NS-Propagandaminister Goebbels gerne gebrauchte Bezeichnung zur Unterstreichung von Hitlers Popularität. (Quelle: Zentner/Bedürftig (hg.): Das große Lexikon des dritten Reiches, S. 612) ↩︎