Die mexikanische Künstlerin Mariana Castillo Deball erinnert mit ihrer Installation an die Ausgrabungen am St. Pöltner Domplatz.
Text: Carlotta Partzsch
In der St. Pöltner Innenstadt ist viel los an diesem Donnerstagvormittag. Am Domplatz ist Markt. Neben unzähligen Gemüseständen gibt es auch eine Ausschank. Die Menschen stehen in Grüppchen und trinken aus großen Biergläsern. Über den Köpfen der Marktbesucher*innen wehen unzählige kleine Stofffahnen. Mariana Castillo Deball heißt die Künstlerin, deren Kunstwerk „Dead, I Am Still Paper“ im Wind flattert.
Die ortsspezifische Installation ist noch bis zum 2. November am Domplatz zu sehen. Deballs Arbeit holt die Erinnerung an die Toten zurück, deren Gebeine bei den archäologischen Ausgrabungen am Domplatz ab 2010 gefunden und untersucht wurden. Fast zehn Jahre war der Boden des Domplatzes aufgerissen und die St. Pöltner*innen bewegten sich um ein großes Loch. Genau über dieser Stelle befindet sich jetzt die Metallkonstruktion, an der Stofffahnen schaukeln. Laut Tangente-Broschüre nehmen Historiker*innen an, dass der Friedhof unter dem Domplatz vom 9. Jahrhundert bis Ende des 18. Jahrhunderts in Verwendung war. Überreste von mehr als 22.000 Menschen wurden hier gefunden. (Lesen Sie hier mehr über diese vielen Knochen und warum sie sich bei der Tangente anscheinend in den Vordergrund drängen.)
Lumpen und Erinnerungsstücke
Die Künstlerin Mariana Castillo Deball arbeitet mit Stofffetzen, die als riesiges zerschnittenes Bild über den Köpfen der Marktbesucher*innen flattern. Die Stoffelemente sollen an die Objekte erinnern, die die Toten bei sich trugen und dabei auf die Vergänglichkeit verschiedener Materialien aufmerksam machen. Deball zieht inhaltlich einen Bogen zu den Lumpensammler*innen, die in vergangenen Jahrhunderten in den Städten Europas Textilreste sammelten. Lumpen waren durchaus wertvoll – denn sie dienten als Rohstoff für die Papierherstellung.
Ich stelle mich extra nah an die Bierbänke. Erst denke ich, dass gerade niemand über die Installation spricht. Dann höre ich zwei Männer, die sich über die riesigen Betonblöcke lustig machen, die das Kunstwerk in der Luft halten. Die Blöcke sind wirklich riesig. Generell sind Metall und Beton – trotz des eigentlichen Fokus auf Stoff und Lumpen – dominante Materialien der Installation.
Übersehbar leicht
Das so filigran und luftig wirkende Gewebe geht von der Weite betrachtet unter. Die Stoffstücke sind nämlich an einem fast 50 Meter langen, über 20 Meter breiten und fünf Meter hohen Stahlgerüst befestigt. Auch der Aufbau der Arbeit war aufwändig und lärmintensiv, wie sich online nachlesen lässt.
Steht man unter der Installation und blickt durch den Stoff auf den Domturm, wird das Thema der Arbeit deutlicher. Es findet eine Verschiebung der Ebenen statt: befand sich der Friedhof zuerst in der Erde unter dem Platz, wandert der Blick jetzt nach oben, im Nachsinnen über die wieder Ausgegrabenen.