Bei Kampf um die Stadt ringen Wrestler:innen wortwörtlich um die Zukunft St. Pöltens. Veronika Maurer, künstlerische Leiter:in, über die Kunst des Kämpfens.
Interview: Magdalena Willert
Fotos: Andrea Huber
Kampf um die Stadt vereint Wrestlingshow und gesellschaftskritisches Theater, das die Frage stellt: Wer darf und soll über die Stadt St. Pölten entscheiden? Diese Frage wird nicht mit Samthandschuhen diskutiert, sondern mit Fäusten geklärt. In den Ring stieg dafür die Personifikation St. Pöltens, die Stadt, die Seite an Seite mit dem Wrestler Kleine Leute um die Stadt kämpft. Ihre metaphorischen Endgegner in Wrestler:innengestalt: Die kapitalistische Visionärin, die Standortkonkurrenz, das Nulldefizit und der Unternehmergeist. Der Kampf wurde am 14. September in der Jahnturnhalle ausgetragen. Neben Julian Warner übernahm Veronika Maurer die künstlerische Leitung des Formats. Sie spricht im KREDO-Interview über die Utopie des Streits und deren Stellenwert in einem demokratischen Miteinander.
In Kampf um die Stadt werden spezifische St. Pöltner Debatten wie die Umgestaltung des Domplatzes oder die Parksituation aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Wie seid ihr zu diesen Themen und Blickwinkeln gekommen? Bist du denn selbst aus St. Pölten?
Veronika Maurer: Nein, ich wohne in Wien und kenne St. Pölten von einzelnen Theaterbesuchen. Die Themen kamen von der Tangente, die uns eingeladen hat, uns damit auseinanderzusetzen und selbst zu recherchieren. Aufgrund dessen war ich öfter in St. Pölten unterwegs, habe mit Leuten auf der Straße gesprochen und Diskussionen in den Medien und auf Facebook verfolgt. So ist eine Verbindung zu St. Pölten entstanden.
Eine nicht wortgemäße, aber zugespitzte Meinung der Einwohner:innen St. Pöltens war: „St. PöltnerIN Brot? Brot war und bleibt DAS.” Was war die Geschichte dahinter?
Maurer: Als der Löwenhof, also das Gebäude, in dem heute das Tangente-Festivalzentrum sitzt, von vier aktivistischen Künstlerinnen in Löwinnenhof* umbenannt wurde, nannte ein Bäcker sein Sankt Pöltner Brot in Sankt Pöltner*in Brot um. Das sorgte für Empörung. Eine Diskussion, bei der man sich denkt: Um Gottes Willen, das kann jetzt unmöglich ein echter politischer Konflikt sein. Das ist meines Erachtens ein Ablenkungsmanöver.
Ablenkungsmanöver wie im Wrestling?
Maurer: Genau. Das haben wir in der Show aufgegriffen: Eine Konfliktlage wird zum Kulturkampf aufgeblasen. Der hypermobile, elitäre, vegane, grüne Kulturtourist aka der Besucher nimmt dir deine Stadt weg, weil er nur Öffis fährt und dir das Autofahren verbieten will. Der wahre Konflikt liegt aber nicht zwischen Kleine Leute und dem Besucher. Er liegt darin, dass sich Kleine Leute in St. Pölten nicht mehr ausreichend wiederfindet, seine Bedürfnisse nicht genug berücksichtigt werden oder er das Gefühl hat, in der Entscheidungsfindung nicht mehr vorzukommen.
Ihr vereint Kleine Leute und St. Pölten zum Siegerteam. Die Moderatorin bedauert gemeinsam mit Kleine Leute den Verlust seines Parkplatzes und den Abriss des Brunnens am Europaplatz zugunsten eines Kunstwerks. Wenn man diese Logik auf dich und mich ummünzt, wären auch wir beide ihre Gegnerinnen. Was hat es mit dieser Selbstironie auf sich?
Maurer: (Lacht) Die Tangente ist an uns herangetreten, um sich genau diese Skepsis unter den St. Pöltner:innen vorzunehmen. Zu Installationen wie den „Fetzen am Domplatz“ denken sich viele: „Braucht man das? Ist das gute Kunst? Die sind doch alle aus Wien, die können doch mit uns St. Pöltnern nix anfangen.“ Zum Thema Selbstironie: Ich finde es großartig, sich als kulturelle Akteurin selbst als Teil eines politischen Feldes kritisch zu diskutieren. Das ist meines Erachtens die große Freiheit der Kunst. Man darf Dinge und sich selbst angstfrei infrage stellen. Man darf neugierig sein. Man darf verhandeln. Und diese Zuspitzung durch das Wrestlingformat und ihre Charaktere eignet sich gut dafür.
Fehlt uns eine ordentlich Streitkultur in der Stadtplanung?
Maurer: Auf der einen Seite gibt es diese Tendenz, die Entscheidungsfindung an Expert:innen auszulagern, weil man denkt, dass manche Dinge objektiv messbar sind. Damit suspendiert man aber spezielle Räume von einer demokratischen Auseinandersetzung. Und die eine objektiv messbare Entscheidung gibt es natürlich nicht, weil Menschen sehr unterschiedlich sind und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Auf der anderen Seite werden im Internet und vor allem auf sozialen Medien schnell Empörungswellen losgetreten, die dann aber genauso schnell wieder abflachen, ohne großen Effekt mit sich zu bringen.
Mitstreiten durfte bei eurer Show jeder, und zwar live. Das Publikum wurde von Anfang an angehalten, seine Meinung laut rauszuschreien und den Emotionen freien Lauf zu lassen. Das haben sie auch getan. Es wurde gleichermaßen gebuht und gejubelt.
Maurer: Ja, die Wrestlingshow lebt davon, dass wir gemeinsam teilhaben. Deshalb ist sie auch so schwer zu proben, weil ein:e Mitspieler:in bei den Proben fehlt: Wir wissen nicht, wie die Leute reagieren werden. Am Samstag war das Publikum aber so involviert und laut dabei, dass man manchmal die Moderatorin nicht hören konnte. Wir hätten nicht gedacht, dass es St. Pölten-Sprechchöre geben würde. Und das entsteht eben nur offline, wenn man nicht am Handy ist. Es passieren im Internet zwar tolle Dinge, aber diese Kopräsenz der Körper im selben Raum ist damit nicht zu vergleichen. Das spielt eine elementare Rolle für uns.
Glaubst du, dass Kleine Leute und die Visionärin in St. Pölten irgendwann noch Freund:innen werden? Vielleicht durch einen Mittelweg: Kultur, aber mit Parkmöglichkeiten?
Maurer: (Lacht) Ich glaube, wir sollten nicht die Erwartungen haben, dass sie Freund:innen werden. Ich glaube, die müssen noch oft in den Wrestlingring, aber ich hoffe, dass Kleine Leute nicht aufgibt. Kleine Leute und der Besucher könnten aber Freunde werden.
Was braucht es, damit jeder mitstreiten kann?
Maurer: Solche Formate. Ich finde, die Tangente macht hier sehr viel richtig. Es müssen Räume geöffnet werden, in denen man sich zugewandt damit auseinandersetzt und wo es auch knirschen darf. Welche Konflikte liegen hier zugrunde? Was sind die Bedürfnisse? Was die Wünsche? Wir plädieren für eine offene Auseinandersetzung, was die Moderatorin am Anfang zusammenfasst hat: „Wir sind hier auf Krawall gebürstet. Streit ist unsere Utopie.“ Konsens kann oft auch nur ein falscher Frieden sein. Dieser Konsens wird von oben erzwungen, aber drunter steckt vielleicht eine große Unzufriedenheit. Besser wäre, zu sagen: Wir öffnen diesen Raum, wir setzen uns auseinander. Genau das ist aber der Kern von Demokratie – wir werden nie an einen Endpunkt gelangen, wo es dann für immer passt. Wir wollen weiter streiten.