Nur vier Flugstunden von Österreich entfernt kämpfen Frauen im Iran vehement für Gleichberechtigung und Anerkennung. Auch in Österreich ruft die iranische Diaspora dem unterdrückerischen Regime ein lautes Nein entgegen. Wir haben mit dem Verein Javaneh über das virale #Na und ihr Kollektives Kunstwerk für Widerstand und Empowerment gesprochen.
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Text: Hanna Begić
„Es existiert eine Stille im weißen Feminismus. Ich wurde nicht gefragt, wie es mir und meiner Familie geht. Es gab keinerlei Reaktion von meinen österreichischen Freund*innen“, sagt Leyli während sie über den Beginn der feministischen Revolution im Iran im Herbst 2022 reflektiert. „Da habe ich gecheckt, wir sind komplett alleine, das war eine riesige Verletzung.“ Aus einer Kühlbox verteilt Leyli Safran-Eistee an Passant*innen mitten am Frauenplatz in St. Pölten. Neben Leyli ist ein provisorisches Wohnzimmer aufgebaut mit Fernseher, Pflanzen, Feuilleton und sogar Frisiertisch mit Spiegel (inklusive eigene*r Friseur*in) – das Setting für die bevorstehende Podiumsdiskussion “Sisters United: Gegen Gewalt an Frauen*”. Der Widerstand von Frauen wird häufig übersehen und aus der Geschichte gestrichen, obwohl unsere Mütter, Großmütter, Schwestern und Tanten zuhause für Sicherheit und Selbstbestimmung kämpfen. Der Frauenplatz verwandelt sich in einen Ort, der die Anstrengungen von Frauen würdigt und feiert, um gemeinsam ein Kunstwerk für Widerstand und Empowerment zu erschaffen.
Schnittstellen des Zusammenfindens
Der Verein Javaneh hat im November 2022, kurz nachdem die feministischen Aufstände im Iran begonnen haben,das Licht der Welt erblickt. Leyli, Sara, Nahid, Nargol, Farila und Kani sind junge FLINTAS* aus erster und zweiter Generation der iranischen, kurdischen und afghanischen Diaspora, den Startpunkt für ihr Zusammenkommen bildete ihr Ohnmachtsgefühl. Was sie jedoch vereint, sind die feministischen Philosophien und Denkweisen, die ihre Heimatländer betreffen. Nun möchten sie ihre Mitmenschen hier in Österreich auch dazu animieren, Interesse für den Kampf der FLINTA im Iran zu zeigen. Die Empörung über die Teilnahmslosigkeit und Apathie hierzulande gegenüber den FLINTA im Iran war ein Katalysator für ihr eigenes Engagement. Dabei wünschen sie sich keine großen Demonstrationen in Österreich zum Thema feministische Revolution im Iran, sie fordern lediglich, dass sich Menschen in Europa auch angesprochen und betroffen fühlen. „Für mich ist in der Diaspora zu leben ein Schrei in die Leere, ein Gefühl der Zerrissenheit. Wir konnten unsere Familien nicht erreichen, dennoch hat uns diese Machtlosigkeit dazu bewegt, uns zu organisieren“, erzählt Leyli.
Ein klares Nein
Kissen liegen am Boden und eine Schubkarre voller Kleidungsfetzen ist vor dem Polsterkreis platziert. Ein Fetzen nach dem anderen wird aus dem Karren entnommen und von den Passant*innen und Gäst*innen mit Sprüchen verziert. Dabei stellt Leyli jeder Person die Frage: „Wozu sagst du ‚Nein‘?“ Die Frage soll dann auf den Kleidungsstücken beantwortet werden. Eine Anspielung auf die Protestwelle im Iran im Juni letzten Jahres, wo Schilder und Aufschriften der Studierenden in Teheran mit dem Wort Na, zu deutsch Nein, geschwenkt wurden. Ein Zeichen der fundamentalen Opposition gegenüber dem System der „Islamischen Republik Iran“. „Nein zu Gender-Apartheid, Nein zu Queerfeindlichkeit, alles, was wir euch zu sagen haben, ist Nein!“ – eine virale Instagram-Bildbeschreibung verdeutlicht, wofür das Nein in der aktuellen iranischen Revolution steht. „Es waren keine Forderungen, kein Versuch mehr, für Rechte einzustehen, sondern ein kompletter Bruch mit dem Regime. Da gibt es keine Diskussion“, erklärt Leyli.
Das schwarze Loch
Das virale #Nein wurde Anlass für die Kunst-Installation des Vereins Javaneh, zu deutsch Knospe. Auf einem breiten Patchwork-Teppich steht ein gewaltiges Na in persischer Schrift. Die unterschiedlichen zusammengeflickten Stoffe symbolisieren den internationalen Zusammenhalt und die Heterogenität des feministischen Widerstands, ganz im Stile des Spruchs Unity in Diversity. „Nein heißt nein. Wir sprechen viel zu wenig über unsere Neins und unsere Grenzen. Mein Nein ist ein gewaltiges Cookie-Monster, ein schwarzes Loch, das dauernd gefüttert wird mit dem, was ich ablehne“, sagt Leyli über their persönliches Nein. Seit September 2022, seit der Ermordung der kurdischen Iranerin Mahsa Jina Amini, beschäftigt sich Leyli mit der Revolution im Iran – nicht nur auf einer politischen Ebene, sondern auch auf einer individuell-persönlichen. „Ich habe für andere Menschen ein Alter Ego meiner selbst erschaffen und habe dabei vergessen, wer ich bin. Ich kann nicht mehr das reflektieren, was andere in mir sehen wollen. Zu dieser Anpassung sage ich selbst Nein.“
Das Persönliche ist politisch
Leylis persönliches „Nein“ steht symbolisch für die tief verwurzelte Ablehnung gegen Unterdrückung und Fremdbestimmung, die viele FLINTA im Iran und der Diaspora empfinden. Dieses „Nein“ ist nicht nur ein Ausdruck des Widerstands, sondern auch eine Aufforderung an die Welt, hinzusehen und sich zu engagieren. Die Kunstinstallation des Vereins Javaneh verdeutlicht, wie diese kollektive Ablehnung und der Wunsch nach Veränderung in ein greifbares und kraftvolles Symbol verwandelt werden kann. Leyli und ihre Mitstreiterinnen rufen uns alle dazu auf, das Schweigen zu brechen und Solidarität zu zeigen – für eine gerechte und gleichberechtigte Zukunft.