Kritiken

Nazis in St. Pölten

Jede Stadt und jedes Dorf in Österreich braucht eine eigene Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Die Ausstellung Blick in den Schatten im Stadtmuseum St. Pölten zeigt, was es bedeutet, wenn aus einem sozialen Gefüge wie einer Kleinstadt Menschen deportiert werden, während andere zu Täter*innen werden oder schweigen.

Text: Carlotta Partzsch Fotos: Klaus Pichler

Die Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich hat nicht mit dem „Anschluss“ 1938 begonnen. Und folgerichtig setzt die Ausstellung Blick in den Schatten die Aufarbeitung der NS-Zeit in St. Pölten Jahre vor der Machtergreifung durch die NSDAP an. Anhand einer Fülle historischer Dokumente macht sie deutlich, wie stark nationalsozialistisches Gedankengut schon Jahre früher in St. Pölten verankert war. Bereits bei den ersten Gemeinderatswahlen nach Ende der Monarchie im Jahr 1919 zog eine nationalsozialistische Partei in den Gemeinderat ein. Schon 1920 hielt Adolf Hitler eine Rede in den St. Pöltner Stadtsälen. Auch nach dem Verbot der NSDAP in Österreich durch das Dollfuß-Regime im Jahr 1933 waren viele Einwohner*innen St. Pöltens weiterhin illegal in der Bewegung aktiv.

Foto: Klaus Pichler

Antisemitismus vor den Nazis

Die Ausstellung macht deutlich, dass Antisemitismus keine Erfindung der Nazis war, sondern in Österreich eine jahrhundertealte Geschichte hat. Antisemitische Einstellungen waren unter anderem in der christlichsozialen Bewegung und der katholischen Kirche weit verbreitet. Ein eindrückliches Beispiel ist eine antisemitische Schmähpostkarte der Christlichsozialen aus der Zeit um 1900, die antisemitische Codes nutzte, um politische Gegner wie die Sozialdemokraten zu diffamieren. 

Judenfeindlichkeit ist also viel älter als die nationalsozialistische Ideologie, und große Teile der Bevölkerung hatten in den 1920er und 1930er Jahren antisemitische Erzählungen verinnerlicht. Für die Nazis war es daher umso leichter, ihre Verbrechen gegen Jüdinnen und Juden zu legitimieren.

Der Holocaust und seine St. Pöltner Opfer

Ein besonders eindringlicher Teil der Ausstellung ist der „Raum der Erinnerung“, der den St. Pöltner Opfern des Holocaust gewidmet ist. Die Wände des Raums sind mit weißen Papierbahnen verkleidet, auf die ein Projektor Bilder der Opfer wirft. Deren Lebensgeschichten können Besucher*innen auf einem zentralen Tisch nachlesen – eine beklemmende, persönliche Annäherung an das Leid, das viele Menschen ertragen mussten.

Foto: Klaus Pichler

Vermittlungs- und Kunstprojekte

Die Ausstellung, die in Kooperation mit der Tangente St. Pölten entstanden ist, wird durch Vermittlungsprojekte an Schulen und in der Stadt ergänzt. Besonders bemerkenswert ist das Projekt „Postkarten können wir eine pro Person schreiben“ der Künstlerin Tatiana Lecomte, das zwischen 2010 und 2012 realisiert wurde. 20.000 St. Pöltner*innen wurden damals von der Künstlerin mittels handgeschriebener Ansichtskarten kontaktiert, um auf die Orte, an denen die Nazis ihre Verbrechen begingen, aufmerksam zu machen und an die Opfer zu erinnern. Dazu gehörten auch aus Ungarn deportierte Jüdinnen und Juden, die zur Arbeit an der Traisen-Regulierung gezwungen wurden. Das Lager, in dem sie gefangen gehalten wurden, befand sich dort, wo später der Viehofner See entstand.

NS-Ideologie in den Köpfen

Die Ausstellung Blick in den Schatten verdeutlicht, dass der Nationalsozialismus kein plötzlicher Bruch war, sondern das Ergebnis eines Prozesses gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen in Deutschland und Österreich. Gesellschaftliche Kontexte ebneten den Nazis den Weg und ließen deren Ideologie tief in der Bevölkerung Wurzeln schlagen. Dass am Tag des „Anschlusses“, dem 12. März 1938, Menschen mit Hakenkreuzfahnen auf den Straßen St. Pöltens feierten, zeigt, wie bereitwillig viele die NS-Diktatur begrüßten.

Foto: Klaus Pichler

Collagen der Erinnerung

Die Ausstellungsstücke sind collagenhaft angeordnet. Viele Fotos, Dokumente, Notizen und Erfahrungsberichte machen die Geschichte lebendig. An Details entlang erkennen Besucher*innen größere Zusammenhänge – wenn sie denn auch die Zeit aufbringen, die vielen Ausstellungstexte genau zu lesen. Da es sich um eine historische Ausstellung handelt, ist die reichhaltige Aufmachung durchaus gelungen und wohl auch notwendig, um die Fülle und Komplexität des Themas zu fassen.

Aktuelle Bezüge

Die Ausstellung zieht auch Verbindungen zur Gegenwart und stellt kritische Fragen zu heutigen politischen Entwicklungen. Sie thematisiert etwa, dass Politiker*innen wie Udo Landbauer – in dessen Burschenschaft bekanntlich bis vor wenigen Jahren Liederbücher mit antisemitischen Texten auflagen – heute Regierungsämter in Niederösterreich bekleiden.

In diesem Kontext ist es schade, dass die Ausstellung nicht kostenlos zugänglich ist. Apropos Zugang: Dass die Ausstellung so textlastig gestaltet ist, wird manchen Besucher*innen das Verstehen aller Zusammenhänge sicherlich erschweren.

Foto: Klaus Pichler

Ausstellung läuft bis Mai 2025

Blick in den Schatten. St. Pölten und der Nationalsozialismus
bis 25. Mai 2025
Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr

Stadtmuseum St. Pölten
Prandtauerstraße 2
3100 St. Pölten

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