KritikenReportagen

Landpartie in Regenhäuten

Wenn die Landschaft zum Hauptdarsteller wird: Das Projekt Shared Landscapes bringt die Tangente-Besucher*innen nicht nur physisch in die Natur. Mit kurzweiligen künstlerischen Interventionen gelingt zudem eine emotionale Auseinandersetzung mit der Umgebung.

Text: Josef Sommer, Fotos: Tangente / eSeL.at – Lorenz Seidler

Als St. Pöltner, der oft und gerne über die Felder und durch die Wälder rund um die Stadt läuft, kenne ich auch jenen Teil des Probstwaldes zwischen Traisen (Windpassing) und Perschling (Heuberg/Pyhra), wo die sieben Inszenierungen von Shared Landscapes „über die Bühne“ gehen.

Meine Läufe haben zwar aufgrund ihrer Dauer (rund zwei Stunden oder länger) sowie des Umstandes, dass ich sie alleine und ohne sonstige Ablenkungen (Mobiltelefon, MP3-Player etc.) absolviere, manchmal auch meditativen Charakter. Die Landschaft als sich stetig ändernde Kulisse hilft dabei, Gedanken zu ordnen, auszusortieren oder neu zu finden. Während des Laufens ist mir aber nie in den Sinn gekommen, hier könnte auch einmal eine kulturelle Veranstaltung stattfinden, die mir einen neuen Blick auf die mir vertraute Natur verspricht. Ich war also durchaus gespannt.

Und gleich bei der ersten Station folgte die für mich wichtigste Erkenntnis: Während bei meinen Läufen die Landschaft scheinbar in Bewegung ist, flüchtig vorüberzieht, lädt Shared Landscapes dazu ein, in ihr zu verweilen, sich auf sie einzulassen. Wobei auch gleich klar wird: Die Landschaft wird nicht nur als Bühne genutzt, sie ist von Anfang an auch Hauptdarstellerin.

Stefan Kaegi liegt auf dem Waldboden
Der Regisseur von „Shared Landscapes“, Stefan Kaegi, lauscht per Kopfhörer seinem eigenen Stück.

Für das erste Stück lieferte Regisseur Stefan Kaegi, Teil der deutschen Künstlergruppe Rimini Protokoll, ein inszeniertes Gespräch von fünf Personen. Sie befinden sich offensichtlich in der Natur und erörtern verschiedenste Aspekte rund um das Thema Wald. Als reines Hörspiel würde das Gespräch dem Hörer zwar eine Reihe von interessanten Informationen näherbringen, die Nachhaltigkeit der Vermittlung entsteht aber erst durch die Inszenierung. Mit Kopfhörern ausgestattet, liegen die Besucher*innen am Waldboden und lassen während des Gesprächs die hohen Bäume und ihre Bewegungen auf sich wirken.

Menschen mit Regenbekleidung spazieren durch den Wald
Besucher*innen von „Shared Landscapes“ erkunden das St. Pöltner Umland.

In den weiteren sieben Stunden folgen an verschiedenen Standorten eigens komponierte Musikstücke (UNLESS), Performances und Inszenierungen, die die Besucher*innen einladen, „in die Landschaft einzutreten und unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was uns umgibt“, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Und bei mir ist das den Künstler*innen auf jeden Fall gelungen, auch wenn mich nicht alle Stücke gleichermaßen beeindruckt haben. Ich werde versuchen, bei meinen Läufen künftig noch mehr die Aufmerksamkeit auf das zu richten was mich hier im Umland von St.Pölten umgibt.

Und vielleicht werde ich mich auch ab und zu einfach nur so auf den Waldboden legen.

(PS: Der Titel für diesen Beitrag lautete ursprünglich „Kein Schas im Wald“. Ich fand seine Doppeldeutigkeit passend, habe ihn aber wieder verworfen, weil ihn so mancher Leser despektierlich finden könnte. Darüber hinaus ist der Begriff wahrscheinlich vielen Nicht-Österreichern überhaupt nicht bekannt, obwohl er von der Bedeutung her ins Hochdeutsche übersetzt, genau den Eindruck beschreibt, den Shared Landscapes bei mir hinterlassen hat: „Kein bedeutungsloses Bemühen“.)

Menschen mit Regenbekleidung gehen auf einem Waldweg
Theater im Wald: Für „Shared Landscapes“ sollte man gut sieben Stunden einplanen.
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