Kritiken

Genmanipulierte Kürbisse und wilde Erbsen

Julia Jost und Mariken Heitman haben beide Romane geschrieben. Präsentiert wurden diese am 8.5. bei einem „Blätterwirbel Spezial“ zum Tangente-Schwerpunkt „Ökologie“. Stephanie Jaksch moderierte einen Abend, in dem von genmanipulierten Kürbissen und einem Kärntner Kuhdorf die Rede war. Eine Buchbesprechung als Versuch zu klären, warum Hartmanns „Wilde Erbsen“ etwas mit der Klimakrise zu tun haben könnte und Josts „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ nicht wirklich zum Thema des Abends passte.

Text: Felicia Schätzer

Pünktlich zum Herbst fallen normalerweise Blätter von den Bäumen. „Abszission“ nennt man dieses Phänomen im Fachjargon, was den Pflanzen zum Beispiel zur Selbstreinigung oder Energieeinsparung über den Winter dient. Eine Überlebensstrategie. 2023 hat das ja ein bisschen länger gedauert, bis die Blätter bunt wurden und auf den Boden fielen. Special Thanks to Climate Change, denn Temperatur ist der Messwert für das Eintreten jener Abszission. Ob im heurigen Herbst bereits so viel Laub am Asphalt liegen wird, dass es von einem Nachsommersturm herumgewirbelt werden kann, zeigt sich in ein paar Monaten.

Dessenungeachtet wird im Oktober, wie jedes Jahr seit 2006, der Sankt Pöltner „Blätterwirbel“ stattfinden und ein Literaturfestivalprogramm anbieten. Renate Kienzl, die Kuratorin, hat die Tangente zum Anlass genommen, drei Abende „Blätterwirbel Spezial“ zu organisieren – jeweils zu den Schwerpunkten Ökologie, Erinnerung und Demokratie.

Warum vom Begriff Ökologie niemand genervt ist

Die Tangente widmet der Ökologie ihren ersten Programmschwerpunkt. Was der Begriff impliziert? Ganz schön viel und damit auch ganz schön wenig Konkretes: Ökologie meint nie eine einzelne Sache, sondern das stete Miteinander der Natur. Wenn eine Pflanze aufgrund von bestimmten Licht- und Wasserverhältnissen, Nährstoff- und Klimabedingungen wachsen kann, dann ist das eine Wechselbeziehung zwischen einem Lebewesen und seiner Umwelt – und damit Ökologie. Was ist jetzt, wenn der Mensch durch seinen CO2-Ausstoß die klimatischen Bedingungen so verändert, dass bestimmte Gegebenheiten für das Wachsen einer Pflanze nicht mehr vorhanden sind und diese ausstirbt? Dann ist das auch Ökologie! Aber auch Klimawandel.

Momentan verfolgt ja ganz Österreich gespannt die Breaking News darüber, ob Lena Schillings Privatangelegenheiten sie möglicherweise zu einer schlechten Politikerin machen. Und währenddessen reihen sich die wärmsten Monate seit Aufzeichnungsbeginn in Folge aneinander. Diese Information habe ich vor kurzem als Push-Nachricht der Zeit im Bild auf mein Handy gepostet bekommen. Ich kann solche beunruhigenden Schlagzeilen schon nicht mehr sehen. Denn im Großen und Ganzen liegt das Thema bei der Klimapolitik und nicht in meiner Hand. Die Push-Nachricht macht allerdings MIR ein schlechtes Gewissen, obwohl ich bestimmte mir selbstauferlegte Regeln diesbezüglich einhalte. Das nervt und lässt mich bei Begriffen wie Erderwärmung abstumpfen.

Romanheldin Klimakrise

Ein Portrait von Julia Jost
Julia Jost las 2019 beim Bachmann-Preis in Klagenfurt. Ihr damaliger Text hat sich nun zu einem Roman ausgewachsen. (Foto: Rafaela Pröll / Suhrkamp Verlag)

Wenn diese Begriffe also nur mehr mit ewig schlechten Gewissensbissen in Verbindung gebracht werden, dämmt das die Wichtigkeit der Sache an sich ein. Es ist eine Frage der Strategie, wie man im Jahr 2024 effektiv über die globale Klimasituation spricht. Eine Strategie könnte meiner Meinung nach sein, statt über „Klimakrise“ über „Ökologie“ zu sprechen, während man in Wirklichkeit so und so über die Klimakrise spricht. Denn Klimawandel gehört wie gesagt zur Ökologie dazu, Ökologie ist das Große und Ganze. Vorrangig geht es, zumindest in meiner Bubble, darum, Raum und Zugang zu schaffen. Die Fakten sind schließlich schon offensichtlich genug.

Eine Möglichkeit, einem wichtigen Thema ausreichend Raum zu geben, ist es, einen Roman darüber zu lesen. Erstens dauert das länger als eine Schlagzeile und zweitens macht es Spaß. Zumindest denen, die sich aussuchen können, was sie lesen wollen und die jeweilige Sprache beherrschen. Gute Literatur reagiert auf aktuelle Zustände von Welt und Gesellschaft. Lesen schafft Wissen. Wer mehr weiß, kann mehr bewirken. Es gibt eine Menge Gründe, gute Bücher zu lesen. Nur, um zu durchschauen, was es eigentlich für gute Bücher gibt, muss einem auch manchmal eines vorgeschlagen werden. Oder ein Thema: Habt ihr schon einmal einen Roman über Ökologie in die Hand genommen? Diese Aufgabe hat also „Blätterwirbel Spezial“ am 8. Mai übernommen.

Ökologie, Genetik und Identitätssuche

Ein Porträt von Mariken Heitman
Die niederländische Autorin Mariken Heitman ist studierte Biologin. Ihr Roman „Wilde Erbsen“ lebt auch von autobiografischen Elementen. (Foto: Jelmer de Haas / Klett-Cotta)

Mariken Heitman hat also einen ökologischen Roman geschrieben: „Wilde Erbsen“ ist diesen März aus dem Niederländischen übersetzt bei Klett-Cotta erschienen. Darin geht es um die Biologin Elke, die Hybridwesen aus Pflanzen züchtet. Botanisch gesprochen: die Hybride erzeugt. Da klingelt jetzt wahrscheinlich irgendwas in Richtung Gregor Mendel und seine Gesetze über Vererbung. Zur Erinnerung: Mitte des 19. Jahrhunderts stellte Mendel in seinem Brünner Klostergarten eine Menge Kreuzungsexperimente mit Erbsen an und prägte dabei bis heute gängige Begriffe wie rezessiv, dominant oder Klone.

Bei Heitman gehen Elkes Genetikexperimente so lang gut, bis sie eine unkontrollierbare Pflanze gezüchtet hat. An dieser Stelle entwickelt sich der Roman nämlich zu einer Widerstandsgeschichte: Der Protest richtet sich gegen ein Züchten von Pflanzen, wie die Gesellschaft sie will. Denn warum müssen Tomaten und Kürbisse immer möglichst süß, groß oder maximal ertragsfähig sein? Weil die Gesellschaft das in dieser Form möchte. Gleichzeitig spiegelt sich der Widerstand auch auf soziologischer Ebene: „Wilde Erbsen“ handelt nämlich ebenfalls vom Widerstand dagegen, dass Menschen von der Gesellschaft „gezüchtet“ werden. Und davon, dass nicht immer alles so gemacht werden kann, wie die Öffentlichkeit es von uns will. Wenn Elke bei einem Besuch beim Bäcker, wo sie als „junger Mann“ angesprochen wird, ausfällig wird, so ist das Ausdruck ihres Kampfes für freie (Geschlechts-)Identität.

Cover des Buches „Wilde Erbsen“
© Klett-Cotta

Genetik und Verhaltensmerkmale wie sexuelle Vorlieben, Ess- oder Bildungsverhalten stehen enger in Verbindung als lange vermutet. Durch neue, kostspielige Genanalysen und Zwillingsstudien kann das immer häufiger bestätigt werden. Wie bei allen Verhaltensmerkmalen ist allerdings nie nur Genetik für ihre Ausprägung verantwortlich, sondern auch sämtliche Umwelteinflüsse. Und das wiederum ist: Ökologie. Ohne Diversität gibt es keine Evolution. In diesem Sinne schlägt „Wilde Erbsen“ einen schönen Bogen vom Schwerpunkt Ökologie zum Aspekt der Identität. Dabei bringt es alle, die sich mit biologischen Phänomenen und im weitesten Sinn mit der Klimakrise beschäftigen wollen, ohne schlechtes Gewissen zum Ziel und argumentiert beispielsweise, warum Pflanzenmanipulationen dem Planeten nicht zuträglich sind.

Beim Zuhören verkantet

Cover des Buches „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“
© Suhrkamp Verlag

Über Identität handelt auch das zweite Buch des Abends. Allerdings entgeht mir sein ökologischer Aspekt ein wenig. Julia Jost kombiniert in „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauffletscht“, einen Anti-Heimatroman mit einer queeren Liebesgeschichte: Es ist das Jahr 1994 und wir befinden uns in einem Dorf am Fuß der Karawanken. Weil die Mutter der elfjährigen Protagonistin bürgerlich werden möchte, steht ein Umzug bevor. Im Zuge dessen geht es in der Geschichte um Freundschaft, Identität und Aufwachsen innerhalb des Kärntner Dorf-Kosmos. Wenngleich sich Josts bildreiche Sprache voller Details zwar stark dem Thema Natur widmet und viel von Kärntner Landschaft erzählt, erkenne ich darin weniger ökologische Intentionen als sprachliche. Schlussendlich wird die „Blätterwirbel“-Lesung dadurch auch etwas holprig: Das beabsichtigt Sperrige in Josts Sprache, das ja schon der Titel ankündigt, setzt sich in den vorgetragenen Romanausschnitten fort. Beim Zuhören ist das noch komplexer als beim Selbstlesen.

Was hält der Bürgermeister von Ökologie?

Die Konzeption des Abends soll sich, wie mir scheint, vor allem darum drehen, Natur, Ökologie und Umwelt Platz zu machen. Und nicht nur das zu beleuchten, was wir in diesem Kontext alles falsch machen. Diesen Zugang finde ich gelungen. Niemand der Protagonist:innen der Veranstaltung nimmt einen Stecken und stochert damit in der recht unangenehmen Wunde aus schlechtem Gewissen und Zukunftsbeklemmung, die sich da aufgetan hat, wo früher Klimaschutz stand. Aber es geht inhaltlich um Klimaschutz, und zwar unter dem Stern der „Ökologie“. Zumindest bei „Wilde Erbsen“. Klingt vielversprechend, auch für unsere Welt. St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler, der in meiner Reihe sitzt, ist zwar die eineinhalb Stunden über anwesend, schaut aber die meiste Zeit davon ungeniert aufs Handy. Schade, denn eigentlich wäre das Thema zurzeit doch recht wichtig für die Politik.

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