Mit Proletarisch Kochen versprach die Tangente den Besucher:innen einen „besonderen Sonntagsevent, bei dem Erinnerungen, Rezepte und Geschichten rund um St. Pölten im Mittelpunkt stehen“. Für den Autor war es eine kulinarische Zeitreise in die Kindheit.
Text: Josef Sommer
Fotos: Tangente St. Pölten, Josef Sommer
Kuratiert wurde Proletarisch Kochen von der in St. Pölten geborenen Autorin und Filmemacherin Anita Lackenberger. Kulinarik- und Küchengeschichten waren bereits oft Thema ihre Arbeit, so drehte sie unter anderem die Dokumentationen Lebkuchengeheimnisse oder Der Gugelhupf – König der Kuchen. Für die Tangente war sie bereits bei der Konferenz Erinnerungsbedarf dabei und zeichnet für das Projekt Nichts als Schule verantwortlich.
Die Idee zu Proletarisch Kochen entstand aus dem Problem heraus, erzählt Lackenberger, das sie von Beginn an mit der Tangente hatte: „Sie wurde den St. Pöltner:innen von Grund weg aufgestülpt, was ich unerträglich gefunden habe. Mir ist es wichtig, dass auch authentische Stadtgeschichte zum Thema der Tangente wird und wir damit alle Menschen mitnehmen.“ Und das ist mit Proletarisch Kochen gelungen, wie auch Tarun Kade, kuratorischer Leiter der Tangente, am Tag danach feststellte: „Über 100 Leute haben daran teilgenommen, viele davon waren zuvor noch nie im Festivalzentrum. Für mich ein Zeichen, dass die Tangente nun endgültig in St. Pölten angekommen ist.“
Altes Küchenwissen
Inhaltlich ging es Anita Lackenberger vor allem darum, vergessene Themen und Aspekte in Zusammenhang mit Lebensmitteln und Kochkunst wieder in Erinnerung zu rufen, „weil man viele Dinge heute wieder beherzigen könnte“. So zeigte im Rahmen des ersten von sieben Live-Koch-Acts Michael Bogner, einer der letzen Fleischhauer in St. Pölten, wie man bei der Zubereitung eines Beuschels auch tatsächlich alle Teile eines Tieres beziehungsweise der Fleischstücke verwenden kann.
Das Publikum durfte und sollte kosten – und das Beuschel war wirklich vorzüglich. Genauso wie die von Bogner am Buffet kredenzten Kalbsnieren sowie die geröstete Leber, eine Speise, die meine Mutter oft und gerne gekocht hat und somit die erste Reminiszenz an meine Kindheit war. Auch die süßen Krautfleckerl – zubereitet vom ehemaligen St. Pöltner Journalisten Peter Bylica – weckten bei mir Erinnerungen, wobei meine Mutter allerdings die Variante ohne Zucker favorisierte.
Des Supperl war guat
Endgültig in meiner Kindheit angekommen war ich, als ich die Stosuppe – eine meiner damaligen Lieblingsspeisen – der Milchbäuerin und Lehrerin Maria Resch zu schlürfen begann. Meine Mutter ist letztes Jahr verstorben, musste aber schon seit den 1990er Jahren mit erheblichen Bewegungseinschränkungen leben und konnte seitdem auch nicht mehr kochen. Seit damals hatte ich keine Stosuppe gegessen, die auch nur ansatzweise in Geschmack und Konsistenz mit der meiner Mutter vergleichbar gewesen wäre – bis zu jener von Maria Resch bei Proletarisch Kochen.
An dieser Stelle wurde ich außerdem an meinen Großvater väterlicherseits erinnert, für den ein Mittagessen ohne Suppe geradezu eine Provokation darstellte. Und wenn ihm die Suppe gemundet hatte, war nicht nur sein Tag gerettet, sondern er quittierte diesen Umstand auch mit den im Familienkreis noch heute gern zitierten Worten: „Des Supperl war guat.“
Bitte ohne Milchhaut!
Zum Schluss muss ich noch den Titel meines Beitrages, der an jene der Eberhoferkrimis erinnert, erklären. Die einzige Speise, die mein Vater, der ansonsten mit Kochen rein gar nichts am Hut hatte, hin und wieder für sich selbst als Abendessen zubreitete, war das Grießkoch. Er bot es uns Kindern zwar immer wieder an, doch hat uns vor seinem Werk gegraust. Er erhitzte die Milch nämlich so, dass sich eine „Haut“ bildete, die für ihn eine besondere Delikatesse darstellte und die er dann in das Grieskoch verarbeitete, das dadurch eine flüssig-glänzend Optik und eine schleimige Konsistenz erhielt. Ich habe das Grießkoch meines Vaters nie gekostet und auch später nie eines gegessen.
Als ich mich nun bei Proletarisch Kochen bei Maria Resch um die Stosuppe anstellte, schlich sich ein äußerst angenehmer süßlicher Geruch in meine Nase. Er kam aus einem daneben stehenden Topf, in dem sich ein ansehnlicher weißer Brei befand und dessen Zubereitung Maria Resch etwas später im Rahmen ihres Live-Acts erklärte: Es handelte sich um ein Grießkoch. Ich gestehe: Nachdem ich es gekostet hatte, holte ich mir noch eine Portion und bin seitdem mit dem Grießkoch versöhnt. Vielen Dank an Maria Resch, aber auch an Anita Lackenberger sowie an alle anderen Köch:innen, Produzent:innen und Geschichtenerzähler:innen bei Proletarisch Kochen.